Millimeterarbeit – Robotergestützte OPs in der Unfallchirurgie

Professor Dr. Huber-Wagner kann man zurecht, nicht nur wegen seiner beeindruckenden Vita und aller Stationen, die er zuletzt am Klinikum der Technischen Universität München rechts, aber auch links der Isar am dortigen LMU-Klinikum durchlaufen hat, als eine Koryphäe auf seinem Fachgebiet bezeichnen. Sein Vortrag „Innovationen in der Unfallchirurgie“ lockte daher nicht nur mehrere Bio-Kurse der Kursstufe des Evangelischen Schulzentrums in den Andachtsraum des Michelbacher Schlosses, sondern auch ein zahlreiches Publikum.

„Ich dachte, ich mache das am besten topographisch anhand von Fallbeispielen“, sagt Prof. Huber-Wagner gleich zu Beginn und ruft direkt den ersten Fall auf: Autounfall nachts um halb zwei, gebrochene Wirbelsäule mit Querschnittslähmung ‒ zwei OPs braucht die junge Patientin, um wieder lebensfähig zu werden. Der Chefarzt der Klinik für Unfallchirurgie, Wirbelsäulenchirurgie und Alterstraumatologie am Diak Klinikum leitet das überregionale Traumazentrum. In letzter Zeit machten er und sein Zentrum durchaus Schlagzeilen. Es steht in Kürze auch wieder Besuch aus einer Londoner Klinik an: Einige Hohenloher Unternehmen haben durch Spenden der Haller Klinik modernste Technik beschert, die weit über das Bundesland hinaus für großes Fachinteresse sorgt.

Im Folgenden nahm der renommierte Unfallchirurg alle mit auf eine Reise in seine OP-Säle, offene Wunden, Brüche, chirurgische Instrumente, verdrehte Wirbelkörper und verschobene Becken. Bilder, wie man sie aus der Unfallchirurgie vielleicht erwartet hat, allerdings im High-Tech-Look: Da sitzen Chefärzte mit 3D-Brillen und planen, statt über Röntgenbilder oder CT-Scans gebeugt, nun mithilfe eines Hologramms, an welcher Stelle der beste Ansatz für die Tumoroperation am Halswirbel sei. Roboter identifizieren chirurgische Instrumente während des Eingriffs mit einem Infrarotstrahl, erkennen Gewebe und Knochen und produzieren die entsprechenden Bilder fürs OP-Team. Während ein Operateur bei der Entscheidung über die optimale Orientierung von Bohrungen für Schrauben, die z.B. Wirbelkörper nach einer Fraktur wieder korrekt fixieren, an seine Grenzen stößt, navigiert ein Roboter die Bohrhülsen Millimeter genau auf Basis hochaufgelöster, intraoperativ erstellter 3D-Computertomographiebilder. „Der Chirurg ist trotzdem der Pilot. Der Roboter unterstützt seine Arbeit. Ein erfahrener Arzt kann seine Arbeit dadurch noch mehr optimieren. Ohne Arzt geht es jedoch nicht“, stellt der Chefarzt klar.

Huber-Wagner führte sein Publikum mit Liebe zum Detail, aber auch mit dem Blick fürs Wesentliche durch den Vortrag. Während die Innovationen der Bildgebung und der OP-Robotik in den Bildern der OPs deutlich sichtbar werden, gibt es Innovationen, die eher unsichtbar bleiben, die Chirurgie jedoch ebenfalls revolutioniert haben. „Das ist unsere Holy Bible“, meint der Professor und erklärt einige Aspekte der neuen von ihm mitverfassten S3-Leitlinie zur Polytrauma- und Schwerverletztenversorgung. „332 Empfehlungen in 40 Kapiteln von über 90 Autoren auf 483 Seiten schaffen eine wissenschaftlich hochfundierte Grundlage für einen Leitfaden zum Handeln im Rahmen der Versorgung von Schwerverletzten.“ Der Unfallchirurg illustriert seine Aussage zur Erstversorgung im Schockraum mit Bildern zum Boxenstopp in der Formel 1 in den 70er-Jahren und heute: „Früher haben alle einfach irgendwie eher unstrukturiert mit angefasst. Heute sind wir ein hoch effizient organisiertes interdisziplinäres Team, das die Behandlungs-Abläufe optimiert ausführt. Jeder weiß genau, was er zu tun hat.“

Als der Chefarzt moderne Methoden bei Altersbrüchen im Beckenbereich erklärt, hebt plötzlich eine ältere Dame die Hand: „Mich haben Sie auch operiert. Es war die beste Entscheidung meines Lebens. Ich bin hierhergekommen, um mir das mal erklären zu lassen. Ich danke Ihnen.“ Sie steht auf, geht zur Tür und verschwindet. „Äh, das war nicht abgesprochen. Nicht, dass Sie meinen...“, sagt der überraschte Referent leicht verlegen.

„Das ist beinahe ein Heimspiel, meine Kinder sind hier zur Schule gegangen“, hält er fest und schlägt mühelos den Bogen zum Heimspiel der Bayern, das er als alter Münchner nicht verpassen will. Ein Blick zur Uhr. Schnell noch ein Ausflug in die lokale Antibiotikatherapie bei einem entzündeten Knochen. Mit Hydroxylapatit und Calciumsulfat als Träger entfalten Antibiotika direkt am Entzündungsherd ihre volle und langanhaltende Wirkung und die eingebrachten Materialien werden selbst am Ende im Bein zu Knochen umgewandelt. „Eine geniale Erfindung“, kommentiert der begeisterte Arzt.

Innovationen in der Chirurgie, so fasst er zusammen, erlauben immer präzisere und minimalinvasivere Operationen, die menschliche Fehler minimieren, Liegezeiten im Krankenhaus verkürzen und manches Mal Gliedmaßen und insbesondere auch Leben retten.

In der anschließenden Fragerunde stellt Prof. Huber-Wagner jedoch auch klar, dass die Fallpauschalen der Krankenkassen, innovative Eingriffe, wie beispielsweise die lokale Antibiotikatherapie oder die Robotik, längst nicht abdecken. „Wer das bezahlt? Niemand“, gibt er zu. Er ist überzeugt, dass sich die medizinischen Innovationen, die er bereits im Haller Diak zum Einsatz bringt, in Zukunft durchsetzen werden und dann von den Kassen auch übernommen werden. Bei der Verabschiedung hält Schulleiter Ralph Gruber unter großem Applaus des Publikums fest, der Chefarzt der Haller Unfallchirurgie habe hier neben der Vorstellung seiner brillanten Fachlichkeit, wenn auch versteckt, zugleich ein deutliches Plädoyer für das Haller Diak Klinikum als Haus der regionalen Zentralversorgung gehalten.

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