Wie stellt man Harnblasen in der Petrischale her?

Privatdozent Dr. Brehmer spricht beim Michelbacher Schlossforum über Tissue-Engineering

Passende Organe mit Hilfe körpereigener Zellen zu züchten, statt diese aus Kunststoffen, tierischem Material oder den eigenen Organen zu rekonstruieren, hat als Wissenschaft des sogenannten Tissue-Engineerings mit seiner rapiden Entwicklung die Welt in den letzten Jahren ins Staunen versetzt und auch Patienten mit Harnwegserkrankungen neue Hoffnung schöpfen lassen. Privatdozent Dr. Bernhard Brehmer, Chefarzt der Urologie am Diakoneo Diak Klinikum Schwäbisch Hall, ist einer, der diesen Forschungsprozess in Deutschland aktiv mitgestaltet hat. Der gebürtige Essener gilt in Deutschland zurecht als Koryphäe auf seinem Fachgebiet.

Dr. Brehmer spannte den Bogen seines Vortrags im Rahmen des „Michelbacher Schlossforums“ am Evangelischen Schulzentrum Michelbach von der Forschungsgeschichte des Tissue Engineerings über die fachlichen Grundlagen bis hin zu persönlichen Anekdoten aus dem Forschungsalltag an der Harvard Medical School und der RWTH Aachen. Er behielt sein Publikum im mit etwa 100 Besuchern voll besetzten Andachtsraum des Michelbacher Schlosses dabei gut im Blick: Den Schülerinnen und Schülern der Biologiekurse des ESZM und Zuhörern mit medizinischen Fachkenntnissen bot Brehmer u.a. Folien zu Forschungsergebnissen über die Elastizität der gezüchteten Harnblasen sowie postoperativen Röntgenbilder der Transplantate an. Wer hier an seine fachlichen Grenzen stieß, konnte Brehmer bei der Geschichte des medizinischen Fortschritts trotzdem mühelos folgen.

Brehmers Studienaufenthalt an der Harvard Medical School 1996 machte ihn zum Teil eines wissenschaftlichen Pionier-Teams rund um den bekannten Transplantationsmediziner Joseph Vacanti. Für den Urologen stand dabei im Mittelpunkt seiner Forschung die Blase – und das Mini-Pig, ein Schwein. Mithilfe von Tierversuchen untersuchte Brehmer an der RWTH Aachen als junger Forscher, wie sich die implantierten, gezüchteten Gewebe von Harnblasen funktionell auf diese auswirken. Sein Fazit fiel eindeutig aus. Zukünftig werden die gezüchteten Harnblasen aus dem Bioreaktor, der modernen Retorte, vermutlich besser sein als Neo-Blasen aus eigenem Darm oder etwa künstlichem Material wie Silikon. Allerdings wird das noch lange dauern: „Im Augenblick gibt es weltweit nur sieben Patienten, die eine gezüchtete Harnblase in sich tragen. Kommen Sie also bloß nicht nächste Woche in meine Sprechstunde, um zu fragen, ob Sie eine haben können.“

Dass Brehmer Forscher und Arzt mit Leib und Seele ist, wird für das Publikum nicht nur durch die packende Art des Vortrags greifbar. „Sehen Sie dahinten die Uhr“, sagt Brehmer und deutet auf den Hintergrund eines Bildes, das ihn als Chirurg bei der Transplantation einer Harnblase am Tier zeigt, „da ist es drei Uhr – natürlich nachts…“ Diese Operationen habe er grundsätzlich außerhalb der regulären Arbeitszeit durchgeführt.

Wie sehr bei medizinischer Forschung jedes Detail von Bedeutung ist, zeigte sich, als Brehmer voller Stolz von der größten Errungenschaft seines Teams in Aachen berichtete. Diesem gelang es mit einer schwammartigen Matrix aus Rinderkollagen, die bestmögliche Gerüststruktur für die Zellen der gezüchteten „Aachener Blase“ zu finden. Die experimentelle Bestimmung der optimalen Stärke dieser Kollagenschicht im sogenannten Scaffold, dem Stützgerüst in der Petrischale – es sind genau 1,5 mm – brachte damals den Durchbruch.

Auch die intensive Fragerunde im Anschluss an den Vortrag zeigte, wie breit Brehmers Wissen als Chefarzt und Privatdozent im medizinischen Bereich gefächert ist. Er antwortete präzise, sachlich, humorvoll und ohne allzu lange auszuschweifen. So blieb beim Publikum vor allem ein Eindruck hängen: Dieser Mediziner brennt für sein Fachgebiet. Dass die Schulen Tissue-Engineering in ihre Lehrpläne aufgenommen haben, ist ihm eine persönliche Freude. Dass dieses Thema auch für junge Leute eine hohe Faszination hat, gerade wenn es einer wie Privatdozent Brehmer mit Fachkenntnis und Enthusiasmus vorträgt, zeigte sich am begeisterten Applaus des Publikums, der am Ende für den Haller Chefarzt zurecht laut und anhaltend ausfiel.

Elisabeth Matthes